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Du denkst, ein psychologisches Gespräch online ist nicht dein Fall? Wann du es dennoch online probieren solltest

Ein Gespräch über die Psyche online führen? Das schreckt viele erstmal ab. So praktisch die Möglichkeit während der Corona Pandemie war, so sehr wünschen sich Menschen jetzt wieder den persönlichen Kontakt. Das kann ich verstehen. Trotzdem gibt es „Dank“ Pandemie und Digitalisierung klare Vorteile, die eine psychologische Online-Beratung mit sich sich bringt. Ich arbeite schon seit 2019 also noch vor Corona hauptsächlich online, weil ich die Vorteile zu schätzen weiß. Es gibt allerdings auch Grenzen. In diesem Artikel will ich den Zweiflern die Vorteile näher bringen und gleichzeitig nicht die Nachteile unterschlagen. Außerdem habe ich Tipps zusammen gestellt, die das online Format für dich besonders erfolgreich machen.

Welche Arten psychologischer Online-Beratung gibt es?

Viele online Angebote in der psychosozialen Beratung beziehen auch den schriftlichen Kontakt über Chat oder E-Mail mit ein. Hier ist für manche ein klarer Vorteil, dass die Beratung auch anonym erfolgen kann. Das erleichtert oft den Schritt, sich Unterstützung zu holen. In diesem Artikel beziehe ich mich auf die Form der online-Beratung, die ich vor allem verwende, und das ist die videobasierte. Zudem möchte ich gerne zwischen Videositzungen in der psychologischen Beratung und in der Psychotherapie unterscheiden. In der Beratung bin ich und der/die Klient*in frei, zu wählen, ob online oder persönlich. Auch eine ausschließliche online Beratung ist möglich oder eine Mischung. In der klassischen krankenkassenfinanzierten Psychotherapie ist eine ausschließliche online Behandlung in der Regelversorgung nicht (mehr) möglich. In der Zeit von Corona gab es zum Glück Ausnahmen.

Hilft psychologische Online-Beratung genauso wie ein persönliches Gespräch?

Kurz gesagt: ja, es scheint der Fall zu sein! Durch die Zunahme von online Terminen auch in der Psychotherapie während der Pandemie gab es endlich auch mehr Studien zum Vergleich von face-to-face und videobasierten Sitzungen. Alle bisherigen Studien, die ich kenne, zeigen, dass es in der Effektivität zwischen persönlicher und Online-Beratung keinen Unterschied gibt (z.B. Thomas et al., 2021; Voderholzer et al., 2021). Allerdings muss man einschränkend sagen, dass die Personen ja freiwillig an diesen Studien teilnehmen und deshalb schon positiver gegenüber Online-Therapie eingestellt sind. Ich denke, dass das auch ein wichtiger Faktor für die Wirksamkeit ist.

Welche Vorteile psychologischer Online-Beratung gibt es?

Damit du eine positive Einstellung gegenüber psychologischer Online-Beratung entwickeln kannst, hier die aus meiner Sicht klaren Vorteile:

1. Flexibilität der Online-Beratung

Ein großer Vorteil ist die Flexibilität, die mit online Terminen verbunden ist. Im Gegensatz zu traditionellen persönlichen Gesprächen schafft es das online Format viel besser, die Sitzungen in deinen Alltag zu integrieren, anstatt sich an starre Termine halten zu müssen. Egal ob du ein Vollzeit arbeitendes Elternteil bist, Schichtarbeit hast oder ein hektisches Leben führst, psychologische Online-Beratung bietet die Möglichkeit, Sitzungen zu planen, die zu deinem Zeitplan passen. Auf die Weise kannst du späte Abendsitzungen oder sogar Pausen während der Arbeit nutzen, um psychologische Unterstützung zu erhalten. Auch die Zunahme von Home-Office ermöglicht es vielen, online Sitzungen bequem unter zu bringen.

Mobilitätseingeschränkte Personen profitieren von Videositzungen. Sei es, weil es gesundheitlich nicht geht, das Haus zu verlassen oder weil Betreuung anderer Personen/Kinder zuhause gewährleistet sein muss.

Durch eine Videoberatung sparst du dir die Zeit für Vorbereitung und An- sowie Abfahrten. Es entstehen keine Fahrtkosten. Der Laptop ist ganz schnell und günstig aufgeklappt.

Es verbessert sich die Versorgungslage für Menschen, die sonst weit fahren müssten, weil sie ländlich leben oder zu einem ganz bestimmten Experten oder einer Expertin wollen. Der Radius, in dem man sich Unterstützung suchen kann, vergrößert sich enorm. Auch für Expats, die im Ausland leben, aber trotzdem muttersprachliche Unterstützung suchen, ergeben sich dadurch Hilfsmöglichkeiten.

2. Psychologische Vorteile der Online-Beratung

Interessanterweise zeigen die bisherigen Studien, dass sich Klient*innen und Patient*innen sehr wohl fühlen in den online Sitzungen.

  • Kontrolle: Ein Grund für das Wohlfühlen ist, dass man sich in seiner eigenen Umgebung quasi geschützt fühlt. Du kannst selbst entscheiden, welchen Ausschnitt du von dir und deiner Umgebung preis gibst und kannst dir einen Ort suchen, an dem du dich besonders sicher und wohl fühlst. Dadurch hast ein besseres Gefühl von Kontrolle. Gerade wenn die Überwindung groß ist, psychologische Hilfe zu suchen, kann das super hilfreich sein. Der Zugang zur Unterstützung wird sehr viel einfacher. Die Distanz, die online vorhanden ist, kann es auch erleichtern, über intime Themen zu sprechen.
  • auf Augenhöhe: Ein weiterer Grund für das Gefühl von Sicherheit liegt darin, dass sich die Beziehung zwischen Berater*in und Klient*in weniger hierarchisch anfühlen kann. Jeder ist in seinem eigenen Raum und jeder nutzt seinen eigenen Laptop. Man geht nicht in eine Einrichtung, Praxis o.ä. und wechselt dadurch auch nicht so schnell in eine Rolle, in der man sich „kleiner“ oder „schwach“ fühlen könnte. Ich verwende zudem in der Online-Beratung gerne das „du“, wenn es für beide Seiten passt. Durch das verstärkte „Wir-Gefühl“ teilt sich das Gelingen gut zwischen beiden Seiten auf und ich erlebe häufig eine größere Verantwortungsübernahme bei meinen Klient*innen, was zu schnelleren positiven Veränderungen führt.
  • Apropos Beziehung: Aus meiner Erfahrung lässt sich die Beziehung ebenso gut und intensiv aufbauen wie persönlich. Klar, es fehlen Informationen und ich bin oft überrrascht über die Körpergröße der Person, wenn ich sie dann doch persönlich sehe. Gleichzeitig spielt diese Information für mich und die Beziehung zwischen uns keine Rolle. Die Beziehung entsteht im Kontakt. Kommunikation über ein digitales Medium ist trotzdem Kommunikation mit einem Menschen und nicht mit dem Medium, so dass eine echte Beziehung entsteht. Da gibt es aus meiner Erfahrung unter Beachtung der Grenzen keine Unterschiede in der Qualität dieser Form von Beziehung, in der es sowieso in der Regel keinen körperlichen Kontakt (mit Ausnahme des Hände Schüttelns) gibt.

3. Heim- und Technische Vorteile

Ein großer „Heimvorteil“ von online arbeiten, den ich gerne nutze, ist die schnelle Verfügbarkeit von persönlichen Gegenständen, Fotos o.ä. Die kann man spontan nutzen für Erinnerungsarbeit gerade in der Trauerbegleitung oder um einen symbolischen Anker direkt in deinem Umfeld zu setzen, wenn wir etwas wichtiges erarbeitet haben. Die Umsetzung von Veränderungen fällt häufig leichter, wenn wir es in einer Umgebung erarbeitet haben, in der du dich ohnehin aufhältst als fernab von deiner Realität in einer externen Praxis.

Eine prima Möglichkeit ist es, den eigenen Bildschirm zu teilen. Auf diese Weise kann ich Erarbeitetes auf ein Whiteboard schreiben, ich kann direkt Dokumente zeigen, die gerade passend für dich sind und muss nicht lange die Papierversion in einem Ordner suchen. Wir können mit Fotos oder Bildkarten arbeiten, die ich so viel schneller verfügbar habe. Das ermöglicht mir es, spontaner und freier zu arbeiten.

Wo sind die Grenzen und was sind Nachteile psychologischer Online-Beratung?

Neben den klaren Vorteilen, gibt es aber auch Grenzen bzw. Nachteile der videobasierten Beratung, die du unbedingt beachten solltest. Dabei schreibe ich nicht über die Eignung von Online-Beratung für bestimmte Patient*innen in der Psychotherapie, sondern über mögliche Nachteile/Grenzen für Klient*innen in der psychologischen Online-Beratung. Denn es sollte klar sein, dass für schwer (psychiatrisch) erkrankte Menschen der persönliche Kontakt zu bevorzugen ist. Persönlicher Kontakt erzeugt mehr Stabilität und es können mehr relevante Informationen auch durch das Erscheinungsbild etc. erhoben werden, die in der Therapie mit psychiatrischen Patient*innen wichtig sind.

1. Umgang und Probleme mit der Technik

Technische Ausfälle und Probleme kommen leider immer wieder vor und lassen sich wahrscheinlich nie ganz verhindern. Es finden sich zwar meist Lösungen, aber es kann schon mal Zeit verstreichen bis ein Ersatz oder der Fehler gefunden wurde. Eine schlechte Internetverbindung, die sich auch von einer auf die andere Sitzung verschlechtern kann, kann dazu führen, dass Ton und Bild nicht zusammenpassen, man sich immer mal nicht richtig versteht oder es zu sonstigen Störungen kommt.

Hinzu kommt, dass bestimmte Personen schon im vorneherein ausgeschlossen sind, weil sie nicht über die technische Ausstattung verfügen und/oder sich den Umgang mit der Technik und möglichen Störungen zutrauen. Die meisten Videoanbieter bieten aber einen sehr leichten Zugang inzwischen, so dass man lediglich einem Link folgen muss, um die Verbindung aufzubauen und vorher nichts installieren braucht.

2. Probleme hinsichtlich der Örtlichkeit

Eine weitere Grenze kann es sein, wenn du nicht über eine räumliche Möglichkeit verfügst, in Ruhe und ungestört mit jemanden online zu sprechen. Zum Beispiel weil ihr auf beengtem Raum lebt oder die Wohnung so hellhörig ist, dass du nicht frei sprechen kannst. Gerade wenn es um Themen geht, die auch andere Familienmitglieder betreffen, ist es wichtig, dass du nicht in ständiger Anspannung stehst, wer oder ob jemand mithört.

Zudem kann es auch als ein Akt der Selbstfürsorge oder Abgrenzung verstanden werden, wenn man sich die Zeit nimmt, das Haus verlässt und zu einem Termin fährt, der nur für einen selbst gedacht ist. Auch das kann abhängig von der individuellen Lebenssituation wichtig sein und spricht dann für persönliche Termine.

3. Einschränkungen in den Methoden

So wie das online Format bestimmte Möglichkeiten eröffnet in Bezug auf die Methoden (s.o.), so schließt es andere aus. Zum Beispiel Aufstellungen im Raum, sich gemeinsam dann durch den Raum bewegen und in die verschiedene Positionen hineinspüren, sind zwar möglich, aber die Berater können nicht direkt neben dir stehen. Dies führt dazu, dass es viel mehr Überwindung braucht, solche gefühlsaktivierenden Interventionen einzusetzen und manches erfahrungsgemäß nicht so gut klappt wie persönlich. Ich habe mir einen online Werkzeugkoffer angeeignet, aber da ist nicht alles drin, was ich auch im persönlichen Kontakt machen würde. Jedoch führen auch in der psychologischen Beratung viele Wege nach Rom, so dass es nichts am positiven Ergebnis verändert.

Tipps für eine erfolgreiche Online-Beratung

Wenn du dich für eine psychologische Online-Beratung entschieden hast, habe ich dir hier ein paar Tipps zusammengestellt, die du unbedingt beachten solltest.

Vor der Sitzung

  • Achte auf Seriosität und Qualifikationen bei deiner Auswahl einer psychologischen Online-Beratung. Es gibt inzwischen viele Anbieter und Plattformen. . Der Begriff „psychologischer Beratung“ ist nicht geschützt und bedingt keinen spezifischen Voraussetzungen. In diesem Artikel von mir kannst du dich genauer informieren, was psychologische Beratung ist und worauf du achten kannst.
  • Mache einen Speedtest deines Internets (z.B. hier), um zu schauen wie schnell deine Internetverbindung ist. Du solltest im up- und download mindestens 5 Mbit haben, damit die Sitzung reibungslos möglich ist.
  • Führe einen Gerätetest durch. Über den Anbieter der Videositzung gibt es in der Regel Gerätetests. Hier kannst du schauen, ob Mikro, Ton und Kamera funktionieren. Den Zugriff auf die Geräte musst du für den Anbieter natürlich frei geben.
  • Achte auf die Auslastung deines Wlans. Mache alle anderen Fenster im Browser zu und bitte die anderen Mitnutzer deines Wlans in der nächsten Stunde kein Netflix o.ä. zu nutzen.
  • Sorge für eine angenehme Atmosphäre. Wähle dir einen Lieblingsplatz, an dem du angenehm sitzt und gleichzeitig möglichst gut ausgeleuchtet bist. Stelle dir Wasser oder Tee bereit. Hänge ein Schild an die Tür oder mache deiner Familie/Partner*in/Mitbewohner*in klar, dass das Zimmer für die nächste Stunde Sperrzone ist.
  • Plane dir vor und nach der Beratung Zeit ein. Die Flexibilität hat den Nachteil, dass man zum Teil in die Online-Beratungssitzung reinstolpert, weil man kurz vorher noch mit etwas ganz anderem gedanklich beschäftigt war. Oder man hüpft im Anschluss direkt in ein nächstes Meeting. Da es in der Beratung um deine Themen und Gefühle geht, empfehle ich dir, dich darauf einzustimmen. Es macht Sinn, sich auch danach noch 10 Minuten zu nehmen, um die Sitzung zu reflektieren, vielleicht Notizen zu machen und wieder umzuschalten.

Während der Sitzung

  • Nutze deinen Laptop. Führe die Sitzung, wenn möglich, nicht am Smartphone durch. Der Ausschnitt ist sehr klein und das Gespräch kann auf die Art anstrengender werden.
  • Um dich sicherer und entspannter zu fühlen, kannst du in der online Sitzung unauffällig Dinge in die Hand nehmen, die dir helfen, deine Aufregung zu reduzieren (z.B. Igelball, Talismann o.ä.) oder deine Katze auf den Schoß nehmen. Du kannst etwas von deinem zuhause zeigen oder Menschen/ Haustiere kurz vorstellen. Natürlich nur, wenn du das möchtest.
  • Klebe dein eigenes Bild mit einem Post-it zu. Bei manchen Anbietern kann man das eigene Bild nicht weg klicken. Da du dich im persönlichen Kontakt nicht selbst siehst, muss das online auch nicht sein. Das lenkt ab. Klebe dich also zu, um nicht ständig zu kontrollieren, ob die Haare sitzen o.ä.

Fazit

Letztlich ist es natürlich Geschmackssache, ob auch psychologische Online-Beratung für dich in Frage kommt. Viele meiner Klient*innen haben eine überraschend positive Erfahrung gemacht, auch wenn sie zunächst eher ablehnend gegenüber dem online Format waren. Ein Versuch lohnt sich total, insbesondere dann, wenn die Alternative wäre, ohne Unterstützung zu bleiben und weiter alleine „zu kämpfen“. Auch eine hybride Lösung, also die Mischung beider Formate oder zumindest ein persönliches Erstgespräch kann eine Option sein.

Wenn du Fragen oder weitere Zweifel hast, die ich vielleicht aus dem Weg räumen kann, melde dich gerne bei mir!

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