Hilfe bei Schuldgefühlen in der Trauer und bei Verlust
Du fühlst dich schuldig?
Gerne erkläre ich dir warum und was du tun kannst
Trauer nach einem Verlust kommt meist nicht allein, sondern in Begleitung von anderen Gefühlen. So verpartnert sich die Trauer ganz gerne mit Wut, Neid, Scham, Sehnsucht oder eben auch häufig mit einem (un)angenehmen Schuldgefühl.
In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder, dass das Thema Schuld in Zusammenhang mit Trauer großen Raum einnimmt.
Dabei ist es für die Klient*innen hilfreich, zunächst mal zu verstehen, warum sie dieses Gefühl haben, um dann anders damit umzugehen oder es manchmal sogar aufzulösen. Eine tatsächliche objektive Schuld gibt es nämlich in den seltensten Fällen – warum also dieses Gefühl? Was nützt Schuld und was hilft dagegen?
1. Beispiele für Schuldgefühl und Schuldzuweisung in der Trauer
In der Trauer werden Betroffene häufig von Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen gequält, die von außen zum Teil als unsinnig erlebt werden bzw. man als Zuhörer den Impuls bekommt zu sagen: „Nein, du bist nicht Schuld, das ist doch Quatsch“. Die Schuldgefühle können aber auch eine andere Richtung bekommen und das Gegenüber wird für schuldig erklärt und so kommt eine ordentliche Portion Wut mit.
- Nach einer Trennung wird die Schuld bei sich oder beim Gegenüber gesucht: „Nur weil ich immer so bockig reagiert habe“, „Nur weil sie/er mir nie Liebe gezeigt hat“
- Bei Versterben des Kindes während der Schwangerschaft macht sich die Mutter häufig Selbstvorwürfe: „Vielleicht weil ich da einmal diese schwere Einkaufstasche getragen habe. Danach hat es doch gezogen. Hätte ich doch mal mitgedacht!“
- Bei schwerer Erkrankung: „Ich hätte doch nur früher zum Arzt gehen müssen, dann hätte es realistischere Heilungschancen gegeben“, „Er hat ja auch immer viel geraucht- konnte ja gar nicht anders kommen“
- Bei Tod: „Die Ärzte haben viel zu wenig getan“, „Hätte ich sie doch nicht zu mir eingeladen, dann wäre der Unfall nie passiert“, „Ich war eine schlechte Mutter, deshalb ist er psychisch krank geworden und hat sich suizidiert“
2. Was ist das Schuldgefühl eigentlich?
Das Gefühl macht ursprünglich total Sinn. Da unsere Vorfahren nur in Gruppen auf Dauer überleben konnten, mussten bestimmte Regeln und Normen für ein gutes Zusammenleben gelten.
Früher waren dies ungeschriebene, später geschriebene Gesetze, aber auch Normen, die wir u.a. durch Erziehung lernen.
Ein Schuldgefühl nach Regelverletzung führt zu dem Impuls sich zu entschuldigen bzw. es wieder gut zu machen und damit einer Wiederaufnahme in die Gruppe. Andernfalls drohte der Ausschluss und damit eine Gefahr fürs Überleben. Soweit die Theorie.
Wenn wir jetzt die oben genannten Beispiele betrachten, wird klar, dass es hier nicht um juristische Fragestellungen geht. Es wurde kein Gesetz übertreten. Es lässt sich oft nicht klar feststellen, ob das eine tatsächlich zum anderen geführt hat.
„Die Realität“ ist viel komplexer und lässt sich nicht auf den einen Grund runterbrechen wie es das Schuldgefühl weis machen will.
Es geht viel mehr um das eigene innere moralische Denken, das Überschreiten einer eigenen Regel, die teilweise zu dem Zeitpunkt gar nicht als Regel bewusst war.
Es geht um die Suche nach einem Grund und genau hier sind wir beim nächsten Punkt angelangt.
3. Was uns das Schuldgefühl nützt oder auch: die Funktion der Schuld in der Trauer und nach Verlust
Die unter 1. genannten Beispiele für Schuldgedanken haben meist den Charakter, dass sie dem vernüftigen Zureden von außen und der Realitätsprüfung Stand halten. Menschen fühlen sich entgegen aller Argumente weiter schuldig oder weisen Schuld zu. Ganz so als würden sie das Gefühl nicht verlieren wollen, aber warum ist das so?
Für dieses Phänomen kommenaus meiner Sichr drei zentrale Funktionen der Schuld in Frage.
Schuld als „sekundäres“ Gefühl
Eine Schuldzuweisung an andere und damit Wut ist manchmal „einfacher“ auszuhalten als ein eigenes Schuldgefühl und/oder die Traurigkeit. So kann es erstmal eine Schutzreaktion sein zu sagen, jemand anderes (z.B. Ärzte oder Pfleger) sind Schuld am Tod als das die Trauer mit voller Wucht einschlägt.
Oder wer kennt sie nicht: die Autofahrer, die sich nach einem Auffahrunfall aufregen und ausfallend werden, für den sie aber Verantwortung tragen.
Oft geht es hier auch erstmal um die Verarbeitung des Schocks, den die Situation ausgelöst hat oder darum den eigenen Selbstwert zu schützen.
Auch sich selbst sehr schuldig zu fühlen, kann manchmal davon abhalten zu sehr in die Trauer zu „rutschen“ und dann einen Trauerprozess blockieren.Schuld gegen das Gefühl von Kontrollosigkeit und Ohnmacht
Die Schuld gibt mir Erklärungen für Dinge, die ich mir sonst nicht erklären könnte. Angesichts vieler unkontrollierbarer Faktoren in unserem Leben und den Schlägen des Schicksals, kann die Schuld helfen, wieder ein Kontrollgefühl zu schaffen. Leben bedeutet nämlich manchmal maximale Unsicherheit.
Wenn ich weiß was der Grund ist oder meine es zu wissen, kann ich das ja ändern und beim nächsten Mal verhindern. Zack, ist die Kontrolle wieder da und das ist doch ziemlich genial.
Mein junger Nachbar ist schwer an Krebs erkrankt. Aber er hat ja auch seit er 15 Jahre alt war geraucht. Ich rauche nicht, puuuh – Sicherheitsgefühl wieder hergestellt.
Schuld hilft also auch im Umgang mit Angst vor Unbegreiflichem. Sie gibt dem Menschen Macht zurück und sichert das Gefühl von Handlungsfähigkeit (ich hätte etwas anders tun können).
Ich kann so verstehen, warum etwas passiert ist. Verstehbarkeit ist ein elementares Bedürfnis von uns allen und Schuld kann dies möglich machen.Schuld, um innere Verbundenheit zu spüren
Ein Spezialfall ist das starke und schwerwiegende Schuldgefühl innerhalb der Trauer um eine verstorbene Person oder auch nach ungewollter Trennung.
Durch dieses intensive Gefühl („ich bin Schuld am Tod von meinem Sohn“) oder auch durch Selbstvorwürfe („hätte ich doch xy noch getan oder gesagt“) kann eine starke emotionale Verbundenheit über den Tod oder die Trennung hinaus aufrechterhalten werden.
Wenn wir an andere Situationen denken, in denen wir uns einer Person gegenüber schuldig gefühlt haben und wie intensiv dadurch das Denken an diese Person geworden ist, wird diese Funktion nachvollziehbarer.
Gerade nach dem Tod wollen wir weiterhin die Bindung zu dieser Person aufrecht erhalten.
Wenn das Gefühl der Schuld also gehen würde, würde in einem solchen Fall unbewusst „befürchtet“ werden, dass damit auch die Bindung zur Person nicht mehr gefühlt werden kann und damit alles was von der Person geblieben ist, auch weg ist.
4. Was kann gegen das Schuldgefühl in der Trauer und nach Verlust helfen?
Zunächst mal kannst du dir überlegen, ob eine oder vielleicht sogar mehrere der genannten Funktionen des Schuldgefühls auf dich zutrifft.
Steckt möglicherweise ein anderes Gefühl dahinter, das du im Moment (noch) nicht spüren möchtest oder kannst? Wenn es Trauer ist, dann lasse Momente der Trauer immer wieder bewusst zu (z.B. durch Erinnern oder darüber sprechen) und sorge im Anschluss gut für dich.
Wenn es dir um Erklärbarkeit der Welt und zur Erreichung eines Sicherheitsgefühl geht, dann kannst du dir bewusst machen, in welchen Situationen du tatsächliche Kontrolle hast. Was kannst du in deiner jetzigen Situation aktiv verändern und damit kontrollieren? Welche Entscheidungen kannst du treffen?
Falls du das Gefühl hast, dass die Selbstvorwürfe eine noch bleibende Verbindung zum Verlorenen sein könnten, suche nach weiteren Möglichkeiten, dich verbunden zu fühlen. Wodurch zeigt sich die verstorbene Person bzw. die verlorene Person noch in deinem Leben? Welche Rituale hast du, dich an ihn oder sie zu erinnern? Was hast du Gutes übernommen? Was hast du durch ihn/ sie gelernt?
Weitere Tipps:
- Spreche mit Anderen über dein Gefühl und deine Gedanken
- Sortiere nochmal die Fakten und überlege, ob du das Wissen von heute auch damals schon hattest und du wirklich etwas anders hättest machen können. Welche guten Gründe hattest du damals, dich für xy zu entscheiden bzw. so zu handeln?
- Übe dich in Selbstmitgefühl. Würdest du mit einem guten Freund oder einer guten Freundin genauso reden? Was würdest du ihm oder ihr sagen?
- Schreibe einen Brief an die verstorbene Person und drücke aus, was du gerne noch gesagt oder (anders) gemacht hättest und wofür du dir jetzt Vorwürfe machst. Überlege dir wie die Person darauf reagiert hätte oder schreibe sogar einen Antwortbrief an dich.
Wie ich in meinen Beratungen mit Selbstvorwürfen bei meinen Klient*innen umgehe, erfährst du hier.
Manchmal merkst du bei all dem vielleicht einen inneren Widerstand und du kommst vielleicht zu dem Schluss, dass du das Schuldgefühl aktuell gar nicht aufgeben möchtest, dann ist das auch total in Ordnung, denn du tust es in dem Fall bewusst. Ein Schuldgefühl kann die Trauer blockieren. Lies hier nach, wenn du das Gefühl hast, dass du in deiner Trauer feststeckst und mehr über die Gründe für blockierte Trauer erfahren möchtest (zum Blogartikel blockierte Trauer)
War der Artikel hilfreich für dich? Hast du noch mehr Tipps, mit einem Schuldgefühl in der Trauer umzugehen? Welche Gedanken helfen dir? Ich freue mich über deinen Kommentar!
Wenn auch dich ein Schuldgefühl quält und du dabei Unterstützung möchtest, wende dich gerne an mich!
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Hallo Frau Graml,
vielen Dank für diesen wirklich hilfreichen Artikel.
Mir ist zum ersten Mal klar, welche Funktion das Schuldgefühl in der Trauer hat. Mich hat besonders die Funktion der Aufrechterhaltung der Bindung berührt. Da werde ich mal genauer hinschauen!
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Blume
Vielen lieben Dank für den Kommentar, über den ich mich sehr gefreut habe! Ich merke, dass sehr viele Menschen den Beitrag lesen und bekomme nur wenig Feedback, deshalb hilft mir das sehr und ich freue mich, wenn er Ihnen weiter hilft. Die Leserzahlen zeigen wie viele es betrifft. Sie sind nicht allein! Von Herzen alles Gute auf Ihrem Weg!