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Bin ich noch traurig oder schon depressiv?

Wie du Trauer und Depression auseinander hältst

Manchmal ist die Unterscheidung schwierig

Ein paar Impulse, die dir dabei helfen können

Trauer und Depression liegen nah bei einander. Wenn du nach einem belastenden Ereignis wie einer stillen Geburt, Tod eines Angehörigen, Abschied, … das Gefühl hast, nicht mehr aus dem Loch zu kommen und dich fragst, ob die Trauer „noch normal“ ist oder du „schon depressiv“ bist, möchte ich dir im Folgenden ein paar Impulse geben, die dir bei der Unterscheidung helfen können.

Vorneweg:

Es ist nicht ganz einfach und die Diagnose einer Depression kann nur im persönlichen Kontakt durch eine Fachperson (psychologischer Psychotherapeut oder Arzt) erfolgen. Die Unterscheidung ist jedoch essenziell, um eine trauernde Person nicht fälschlicherweise als depressiv einzustufen und jemandem mit einer Depression eine wichtige Behandlung nicht zu verwehren.

Um zu verstehen, was die Unterschiede sind, möchte ich dir zuerst erklären, wo die Gemeinsamkeiten liegen und was Trauer und Depression für sich genommen eigentlich bedeuten.

1. Was ist eigentlich Trauer?

Trauer ist keine Krankheit und keine Störung. Sie ist eine normale Reaktion auf einen Verlust und soll dabei helfen, mit der veränderten Situation zurecht zu kommen. Die Trauer hat die Funktion, dass sich dein Leben an die Veränderung anpasst und du wieder nach vorne schauen kannst. Das bedeutet natürlich nicht, dass das Erlebte vergessen ist, aber es ist sozusagen in dein Leben integriert und du betrachtest es als Teil deines Weges, so dass du dir z.B.  auch wieder erlaubst, Freude zu empfinden. Der Verlust wird akzeptiert.

Wir finden Traurigkeit auch in „kleinen Situationen“, z.B. wenn wir eine Prüfung nicht bestanden haben. Also Trauer darüber, ein Ziel nicht erreicht zu haben. Am Ende eines Trauerprozesses kann dann stehen, dass du es nochmal versuchst und den Misserfolg als ungeliebten Vorfall abstempelst oder du dich ganz von dem Ziel, das hinter der Prüfung steht, verabschiedest. Auf alle Fälle ist die nicht bestandene Prüfung irgendwie „okay“, wenn auch unschön. Du denkst dann nicht mehr ständig daran und im Verlauf immer weniger.

Aus der Evolutionsbiologie betrachtet

Wäre Traurigkeit bzw. Trauer als Gefühl nicht sinnvoll, wäre es in der Weitergabe über viele Generationen schon „ausgestorben“. Dennoch fühlen sich trauernde Menschen häufig krank: sie können nicht mehr essen, schlafen schlecht, haben Schmerzen usw. In Trauer neigen wir zu Rückzug, Antriebs- und Lustlosigkeit. Wir weinen oder würden gerne, aber können nicht. Alles ist irgendwie „zu viel“. Wir haben typische Gedanken, die sich um den Verlust drehen: „hätte ich doch…“, „es ist sooo schade“, „es wäre so schön, wenn…“ etc. Der Körper fühlt sich schwer an, es sitzt ein dicker Kloß im Hals und/oder Bauch, die Brust ist eng und schmerzt. All diese Reaktionsweisen gehören zu unserer Grundausstattung und sind angeboren.

Oft fühlen sich Trauernde nicht in der Lage zu arbeiten und gehen deshalb zum Arzt. Wenn dieser dann eine Krankschreibung empfiehlt, spreche ich lieber von Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung, denn nochmal: zu trauern bedeutet erstmal nicht krank zu sein, aber es kann durchaus sein, dass es einen zeitweise unfähig macht, zu arbeiten.

2. Was macht eine Depression aus?

Eine Depression hingegen ist eine psychische Erkrankung. Sie ist eine Krankheit, die sich ganz verschieden äußern kann: manchen Erkrankten sieht man es nicht an und sie gehen -von außen betrachtet- unauffällig ihrem Alltag nach. Andere kommen den ganzen Tag nicht aus dem Bett. Es gibt jedoch gewisse Symptome, die typischerweise auftreten.

Diese sind:

  • Niedergeschlagenheit
  • Erhöhte Ermüdbarkeit , Energielosigkeit, weniger Antrieb 
  • Verlust von Freude und Interesse, an Dingen, die vorher angenehm waren
  • innere Unruhe oder Hemmung
  • Konzentrationsstörungen
  • Gewichtsverlust oder -zunahme
  • Schlafstörungen
  • Vermindertes Selbstwertgefühl
  • Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit
  • Negative und pessimistische Zukunftsperspektive
  • Gedanken an den eigenen Tod

Diese Symptome bzw. eine gewisse Anzahl davon müssen dann die meiste Zeit des Tages über mindestens zwei Wochen hinweg auftreten. Es gibt verschiedene Verläufe und Schweregrade, nach denen unterschieden wird. An dieser Stelle würde es zu weit führen, auf diese im Detail einzugehen. Wen es genauer interessiert, kann sich z.B. hier weiter einlesen https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe.

Auch wenn eine Depression ebenso im Zusammenhang mit einem Verlust entstehen kann, gibt es nicht nur DEN einen Grund beim Entstehen einer Depression d.h. neben dem Verlust kommen beispielsweise noch genetische Faktoren, hinderliche Glaubenssätze („ich muss stark sein“), wenig soziale Unterstützung, weitere Belastungen und und und hinzu.

Eine Depression bedarf einer Therapie. Diese kann durch eine Psychotherapie oder eine Kombination aus einem antidepressiven Medikament und Psychotherapie erfolgen. Wichtig ist mir zu sagen, dass die Diagnose Depression ausschließlich im persönlichen Kontakt von einer Fachperson (Psychotherapeut*in, Psychiater*in) zu stellen ist, denn werden allein die Symptome herangezogen, so sieht Trauer der Depression häufig zum Verwechseln ähnlich. Du kannst dich auch gerne an mich wenden, wenn du unsicher bist.

3. Wo liegen die Gemeinsamkeiten zwischen Trauer und Depression

Auch Trauernde fühlen sich nach dem anfänglichen Aktionismus (vieles muss ja erstmal organisiert werden) häufig antriebs- und lustlos. Sie sind niedergeschlagen, weinen viel oder fühlen sich leer. Das Denken kreist um den Verlust und es treten Schuldgefühle auf, die gar nicht gerechtfertigt sind. Vieles erscheint sinnlos. Die Gesellschaft von anderen wird schlecht ertragen und es kommt zum sozialen Rückzug.

All das sind Symptome, die auch in der Depression auftreten können. Man könnte in diesen Fällen auch von Trauer mit depressiver Reaktion sprechen. Meiner Meinung nach gibt es insbesondere zwischen langanhaltender Trauer und leichter depressiver Episode einen grauen Übergangsbereich. Kein Wunder also, dass hier häufig Unklarheiten auftreten und sich auch die Betroffenen fragen, ob das alles noch „normal“ ist. Häufig kommt dann noch ein Druck von außen hinzu, jetzt ja auch mal drüber hinweg sein zu müssen, ist ja schließlich schon xy Monate her. Aber: Trauer ist individuell – sowohl im Ausdruck als auch in der Dauer. 

4. Wo liegt der Unterschied zwischen Trauer mit depressiven Reaktionen und einer depressiven Episode?

  • Verlauf der Symptome: In meinen Beratungen erlebe ich häufig, dass die Symptome der Trauernden schwanken. Nach dem akuten Schock verläuft die Trauer in Wellen und die damit in Verbindung stehende Symptome. So gibt es Tage, die fast wie vor dem Verlust erlebt werden und dann Tage, an denen der innere Schmerz kaum erträglich ist, da z.B. eine schöne Erinnerung aufgrund eines Liedes im Radio aufkam. Die Symptome einer Depression hingegen haben selten Pause.
  • Der Rückzug von anderen ist in der Trauer oft vorübergehend und nicht ganz so massiv wie in der Depression. In der Trauer wird häufig nicht ertragen, dass für andere das Leben einfach so weiter geht und man sich selbst „wie in einer Blase fühlt“.
  • Schuldgefühle/Selbstwert: Die Schuldgefühle beziehen sich in der Trauer häufig auf vermeintliche Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Verstorbenen oder dem Verlorenen (hier geht es zu einem Blogartikel zum Thema Trauer und Schuld). Bei Depression gehen die Schuldgefühle in alle Richtungen und es kann zu richtigem Selbsthass und dauerhafter Reduktion des Selbstwerts kommen.
  • Ebenso das Grübeln: auch hier beziehen sich die Gedanken in der Trauer sehr auf das Thema des Verlusts. In der Depression geht es um viele verschiedene Lebensbereiche. Das Denken/Grübeln ist ständig negativ, pessimistisch und abwertend in Bezug auf die eigene Person, die eigenen Gefühle und Probleme.
  • Die Sinnfrage in Bezug auf das Leben taucht in beiden Gruppen auf – bei einem Verlust durch Tod kommt es aber durch die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit eher zu einer Art Sinnsuche. Trauernde stellen sich „warum“ Fragen (warum musste jemand sterben) und spirituelle Fragen (wie konnte Gott das zulassen). Es wird versucht, den Tod in einen größeren Zusammenhang zu stellen, um ihm und dem Leben irgendwie einen Sinn zu geben. Bei einer Depression werden auch nicht zu beantwortende „warum“ Fragen in Bezug auf das Leben gestellt. Diese sind jedoch häufig allgemeiner und es entsteht ein allgemeines Sinnlosigkeitsgefühl.
  • Suizidalität: manchmal tritt in der Trauer eine Art Nachsterbe-Wunsch auf, um wieder zusammen zu sein. In der Depression treten Suizid-Ideen auf, um das Leiden der Depression zu beenden.
  • Hoffnung: bei Trauer besteht im Allgemeinen die Hoffnung, sich wieder zu erholen und das schlimme Gefühl zu überwinden. In der Depression macht sich eine Hoffnungslosigkeit breit.
  • Auch wenn Traurigkeit und Niedergeschlagenheit beide Gruppen vereint, so kann es sein, dass in der Depression irgendwann gar nichts mehr gefühlt wird und sich ein quälendes Gefühl von Gefühllosigkeit, Leere und Starre einstellt. Es wird kein Trost erlebt. Trauer ist in der Regel „lebendiger“ und es gibt auch tröstende Momente.

Wie du also vielleicht feststellst, sind die Unterschiede in der Ausprägung, Inhalten oder Art von ganz ähnlichen Merkmalen zu suchen. Das bedarf Erfahrung und den richtigen Fragen. Wenn du dir also weiter unsicher bist, lege ich dir sehr ans Herz, eine Fachperson aufzusuchen, denn du musst mit dieser Frage und vor allem deiner Belastung nicht allein bleiben!

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