Du bist mir Trauer konfrontiert und fragst dich, ob du dir eine Auszeit nehmen sollst?
Darf ich mich krank schreiben lassen?
Viele meiner Klient*innen schlagen sich mit der Frage rum, ob sie sich aufgrund der Trauer nach einem Todesfall oder auch nach einer Trennung eine berufliche Auszeit bzw. Krankschreibung „erlauben“ dürfen.
Trauer kann mit Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit einhergehen. Die Vorstellung, sich am Arbeitsplatz möglicherweise erklären zu müssen und dass dort doch irgendwie alles weitergeht wie bisher, ist für viele unerträglich.
Gleichzeitig bietet Arbeit eine gewisse Struktur und eine Ablenkung. Es besteht häufig Angst vor negativen Konsequenzen bzw. das Pflichtgefühl ist übergroß. Wie also entscheiden, ob eine Auszeit nach einem Todesfall sinnvoll ist? In diesem Artikel möchte ich dir ein paar Impulse geben, die dir hoffentlich bei der Beantwortung der Frage „Auszeit nach Todesfall- ja oder nein“ helfen.
1. Was bedeutet die Trauer für die Arbeitsfähigkeit?
In der akuten Trauer ist nicht an Arbeiten zu denken. Die Prioritäten verschieben sich und es geht zunächst darum, mit dem emotionalen Ausnahmezustand zurecht zu kommen. Trauer ist im Verlauf ein natürlicher Prozess, der mit einer reduzierten Leistungsfähigkeit einhergehen kann (nicht muss). So berichten viele Betroffene, dass sie sich schlecht konzentrieren können. Sie schweifen in der Arbeit ständig mit den Gedanken ab und vergessen wichtige To Dos plötzlich (was vorher sonst so gut wie nie passiert ist). Man bricht plötzlich in Tränen aus oder explodiert wütend, wenn Probleme im Arbeitsprozess oder mit Kolleg*innen auftauchen. Hinzu kommt, dass Trauernde häufig unter Schlafstörungen leiden und sich extrem erschöpft fühlen. Oft wird die Arbeit und die Aufgaben als völlig sinnfrei angesichts des erlebten Verlusts gesehen („Eure „Probleme“ möchte ich haben!!“).
Eine Beschreibung weiterer Symptome findest du auch hier: Bin ich noch traurig oder schon depressiv?
Man kann sich vorstellen, dass Arbeiten unter diesen Bedingungen eine extreme Herausforderung darstellt und Trauer natürlich eine Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit haben kann.
Andererseits kann Arbeit auch eine echte Ressource sein
Der Alltag wird strukturiert und erfordert ein regelmäßiges Aufstehen, ins Bett gehen etc. Arbeit kann eine gute Ablenkung sein und dir Halt geben. Durch den Verlust ist bereits eine wichtige Säule im Leben weggebrochen, da kann Arbeit stabilisieren und eine Ressource sein. Die krasse Veränderung im Leben durch den Verlust bedeutet auch einen Kontrollverlust. Dabei kann gerade eine strukturierte Arbeit mit konkreten Aufgaben Sicherheit zurück geben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die erlebte soziale Unterstützung. Wenn ein positives Teamklima besteht und der Arbeitgeber unterstützend reagiert, kann der soziale Kontakt am Arbeitsplatz super hilfreich sein. Dabei ist es immer gut, vorab zu kommunizieren wie man es am liebsten möchte: z.B. auf den Verlust angesprochen werden oder lieber Ablenkung erfahren. Zum Thema Rückkehr an den Arbeitsplatz plane ich einen weiteren Blogartikel.
2. Welche Möglichkeiten für eine Auszeit nach einem Todesfall/ wegen Trauer gibt es?
Möglichkeiten sind:
- (unbezahlten) Urlaub, Sonderurlaub
- Anpassungen am Arbeitsplatz
- Krankschreibung
Viele machen von der Möglichkeit Gebrauch, (unbezahlten) Urlaub zu nehmen. Dabei ist aber zu beachten, dass der genommene Urlaub im restlichen Jahr, das weiter von der Trauer geprägt sein wird, fehlt und ein unbezahlter Urlaub natürlich auch ein Loch ins Konto schlägt. Zumal ein Todesfall in der Familie oftmals sowieso schon finanzielle Einbußen und/oder Belastungen mit sich bringt. Das Arbeitsrecht sieht vor, dass ein*e Angestellte*r nach dem Verlust eines Familienangehörigen Sonderurlaub bekommt. Dies gilt aber nur für die engsten Familienmitglieder (Ehepartner, Eltern und Kinder). Beim Tod der Schwiegereltern, jemand Nahestehenden außerhalb der Familie (z.B. beste Freundin) oder des Haustiers greift diese Regelung nicht. Geschweige denn nach einer Trennung. Aber nicht nur das ist eigentlich ein Unding, denn die gewährten zwei Tagen reichen natürlich bei Weitem nicht aus, um über einen Todesfall hinweg zu kommen. Im besten Fall kann man in diesen Tagen das Aller Notwendigste regeln, aber in der Realität sind auch dafür zwei Tage zu kurz. Einige wenige Unternehmen bieten einen längeren Sonderurlaub nach einem Todesfall an. Es kann sich lohnen, hier nachzufragen.
Auch generell empfiehlt es sich, ins Gespräch mit dem Arbeitgeber zu gehen, ob und welche Möglichkeiten es gibt zu entlasten (z.B. Projektwechsel, Freistellung für einen Tag in der Woche, Homeoffice, Unterstützung bei bestimmten Aufgaben ….).
Natürlich kannst du auch immer zu deinem Hausarzt gehen und die Situation schildern. Da die Arbeitsfähigkeit ja häufig nicht gegeben ist, wirst du auch eine „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ bekommen. Dies passt vom Begriff her eigentlich auch viel besser als „Krankschreibung“, denn du bist in der Trauer nicht krank und brauchst in der Regel auch keine Medikamente. Nichtsdestotrotz ist unser System leider so, dass du im Fall von Arbeitsunfähigkeit eine Diagnose brauchst. Das ist in der Regel dann eine „akute Belastungsreaktion“ oder eine „Anpassungsstörung“. Besonders letzteres hört sich aus meiner Sicht stigmatisierend an, da Trauer keine Störung in der Anpassung ist, sondern natürlicherweise genau das Gegenteil bewirkt: eine Anpassung an die veränderte Lebenssituation. Die beiden Diagnosen sind Sammelbegriffe, unter denen sich vieles einordnen lässt. Unter anderem eben auch die Symptome von Trauer.
3. Wie kann ich mich bezüglich der Auszeit entscheiden?
Lass dich nicht von anderen beeinflussen, sondern treffe deine eigene Entscheidung, ob du dir eine Auszeit nimmst. Nur weil es für deine Nachbarin Irmi so wichtig war, täglich die Steuererklärung anderer Menschen zu machen, muss das nicht bedeuten, dass es das auch für dich ist. Und auch Thomas, der so wahnsinnig von seiner Auszeit auf dem Jakobsweg profitiert hat, ist nicht zu vergleichen mit dir und deinem Umgang mit Trauer.
Nimm dir die Zeit, zu erspüren, was dein Bedürfnis ist:
- Was fühlt sich für dich hilfreicher an?
- Welche Vorstellung schafft dir Erleichterung?
- Sammel Argumente für beide Seiten und spüre was dir wichtiger ist.
- Lasse nicht dein Pflichtgefühl entscheiden, sondern deinen selbstfürsorglicher Anteil!
Du musst dich nicht schämen, dir eine Arbeitsunfähigkeit vom Arzt
attestieren zu lassen. Der Teil der Bescheinigung, der an deinen
Arbeitsgeber geht, enthält nicht die gestellte Diagnose. Wie lange du eine Auszeit brauchst, kannst du mit deinem Arzt besprechen und ggf. nochmal verlängern, wenn du dann noch nicht wieder bereit bist, zu arbeiten. Nimm dir die Zeit, die du brauchst!
Und andersrum musst du dir nicht einreden lassen, dass du zuhause bleiben musst und ja gar nicht arbeiten kannst in deiner Verfassung. Wenn du merkst, die Arbeit hat für dich viele Vorteile in der jetzigen Situation, dann halte deine Struktur aufrecht. Verlange aber nicht von dir, genauso zu funktionieren wie vorher, sondern nutze für dich die Vorteile in der Arbeit: z.B. trinke einen Kaffee mehr mit Kolleg*innen. Mache, wenn möglich,
vor allem die Arbeiten, die dir Spaß bereiten und/oder besonders strukturiert sind. Spreche mit deinem Vorgesetzten über mögliche Anpassungen deiner Arbeit (s.o.). Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, einen Termin beim Betriebsarzt zu machen oder ihr habt evt. sogar das Angebot einer psychosozialen Beratung.
Egal wie du dich entscheidest- es ist okay!
Du bist im Moment mit einer normalen Reaktion auf ein „unnormales“ (im Sinne von „nicht alltäglich“) Ereignis konfrontiert und das erfordert ein besonderes Hinspüren zu dem, was du für den Moment brauchst und dir dabei hilft, bestmöglichst mit deinen ganzen Emotionen umzugehen. Also egal wie du dich entscheidest- tu es für dich!
Alles Liebe!
Liebe Sabine,
viele trauen sich gar nicht, sich eine Auszeit zu nehmen. Dabei ist es so wichtig!!! Schließlich muss man den Verlust erst einmal verstehen, verkraften und verarbeiten. Wie lange das dauert, ist individuell. Aber die Trauer zu verdrängen, ist die schlechteste Option, die es gibt. Der Schmerz verschwindet nämlich nicht, er wird nur so lange zurückgehalten, bis Körper und Seele zusammenbrechen.
Daher vielen Dank für deinen wertvollen Artikel. Ich hoffe, er wird oft gelesen.
Viele Grüße
Stefanie
Liebe Stefanie,
vielen Dank für deinen ergänzenden und wertschätzenden Kommentar!
Viele Grüße zurück